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Aus Angst vor Stimmenverlusten scheuen die Parteien noch immer vor wirksamen Maßnahmen im Klimaschutz zurück. Um das zu ändern, braucht es einen breiten politischen Konsens.

Mit dem letzten Sachstandsbericht des IPCC ist noch einmal klarer geworden, welche immensen Herausforderungen gerade auf die Industrienationen zukommen, wenn sie dem verbindlich vereinbarten Ziel gerecht werden wollen, die Erwärmung auf unter 2°C zu begrenzen. Es bedarf einer gewaltigen Transformation des gesamten Wirtschaftens, und es bleibt keine Zeit mehr, die Einleitung dieses Prozesses weiter aufzuschieben.

Von Dramatik keine Spur...

In der Endphase des Wahlkampfes zur Bundestagswahl 2021 ist von diesem Ernst der Lage wenig zu sehen. Zwar signalisieren bis auf eine Ausnahme alle Parteien, die wahrscheinlich im nächsten Bundestag vertreten sein werden, Problembewusstsein, aber kein führender Politiker stellt Maßnahmen in Aussicht, die in der unmittelbaren Zukunft ungehindertes wirtschaftliches Wachstum oder die Lebensplanung einzelner Bürger in Frage stellen würde.

...und warum das so sein muss...

Der Beruf des Politikers ist die Vermittlung von Ausgleich unterschiedlicher Interessen. Er steht zwischen Kapitaleignern, Unternehmen und Beschäftigten, und er bedient seine Stammwählerschaft, die eine spezifische Gewichtung von Bedürfnissen aufweist, nach Kontinuität und Veränderung, nach persönlichem wirtschaftlichen Erfolg und Verteilung, nach Sicherheit und Freiheit.

Aus dieser Perspektive ist die Klimakrise nur ein Thema unter anderen. Die Anhängerschaften der verschiedenen Parteien verteilen sich auch in dieser Frage auf einem Spektrum, mit unterschiedlichen Gewichtungen von Glauben an die Dringlichkeit, Veränderungswille, Skepsis und Wunsch nach Besitzstandswahrung. Und die Politiker werden ihrer Aufgabe gerecht, wenn sie Positionen kommunizieren, die möglichst große Bereiche des Spektrums abdecken.

...aber nicht mehr so sein darf

Diese Funktionsweise der Politik ist unabdingbar für eine repräsentative Demokratie, und bewährt sich unter normalen Umständen sehr gut. Leider aber gilt das nicht für ein bestimmtes Krisenszenario, und in einem solchen befinden wir und gegenwärtig.

Die Situation lässt sich so charakterisieren:

  • Um eine Gefahr, bei der alle unakzeptable Einbußen hätten, abzuwenden, ist gemeinschaftliches Handeln notwendig, wobei jeder Einzelne Einbußen hinnehmen muss, die geringer wiegen als die, die alle bei Untätigkeit zu erdulden hätten
  • Der Erste aber, der dieses gemeinschaftliche Handeln einfordert, wird notwendigerweise entscheidend in der Wählergunst verlieren, so lange die anderen Akteure noch glaubhaft machen können, dass es ohne Einbußen für den Einzelnen geht, oder dass die Zeit, wo gehandelt werden muss, noch nicht gekommen ist

Das Dilemma ist nun, wenn alle Akteure strategisch richtig handeln, also vermeiden, der Erste zu sein, wird der wahrscheinliche Ausgang sein, dass der Zeitpunkt zum gemeinschaftlichen Handeln verpasst wird, mit den entsprechenden negativen Konsequenzen für alle.

Kooperation ist der einzige Ausweg

Es gibt nur einen Weg aus dem Dilemma: Alle Akteure müssen gemeinsam erklären, dass der Moment zum gemeinschaftlichen Handeln genau jetzt gekommen ist, sie alle müssen sich dazu bekennen, dass die Bewahrung unserer Lebensgrundlagen nicht Gegenstand eines Für und Wider von Parteipolitik ist, sondern wie andere Grundrechte und Grundwerte nicht verhandelbarer Bestandteil unserer demokratischen Verfassung.

Parteien dürfen in den Augen der Wähler nicht länger für mehr oder weniger Klimaschutz stehen können. So wenig, wie in einer Demokratie Rassismus wählbar sein darf, so wenig, wie Prinzipien unseres Rechtsstaats abwählbar sind, so selbstverständlich muss der Konsens sein, die Bewohnbarkeit unseres Heimatplaneten für uns und nachfolgende Generationen zu bewahren.

Foto: Kurt Michel/PIXELIO